zwischen den tönen
Es ist überraschend still heute. Fast andächtig. Nur entfernt sind Männerstimmen im Zwiegespräch zu hören. Gläser werden aufgestellt, der Champagner auf die richtige Temperatur gekühlt; Leiter und Giesskanne versorgt, nachdem die verschiedenen Schauplätze ins rechte Licht gerückt und die letzten Rosen liebevoll arrangiert wurden. Die Stimmung knistert. Ist es die Ruhe vor dem Sturm? Die Konzentration vor der abendlichen Höchstleistung? Oder schlicht die Demut vor der einzigartigen Kulisse?
Luzern im Sommer. Die Zeit, in der die besten Orchester der Welt, angespornt von berühmten Dirigenten, die Musik von noch berühmteren Komponisten spielen. Und nun bin ich wieder hier. Backstage. Nach so vielen Jahren. Dieser aussergewöhnliche Ort war sieben Jahre lang Arbeitsplatz, zweites Zuhause und Heimat für meine Liebe zur Musik: das KKL Luzern. Eigentlich kenne ich hier jeden Winkel, jede Ecke. Trotzdem fühlt es sich heute anders an, während ich das Labyrinth hinter den Kulissen erkunde. Ich atme tief aber leise ein, bewege mich ruhig, um die Musiker und Techniker nicht in ihrer Vorbereitung zu stören. Beim Einatmen bemerke ich: der Duft ist derselbe, und er weckt unaufgefordert und unverzüglich Erinnerungen an unvergessene Zeiten. Nichts scheint verändert. Wie damals, als meine Arbeit es mir erlaubte, all das ganz selbstverständlich zu erleben. Nur genau das ist heute anders – ich bin einfach Gast.
Ich ziehe weiter durch einen purpurroten Gang, dessen kleine Fenster unvermittelt Postkartenansichten auf Stadt und See zaubern. Über den mit rotem Teppich ausgekleideten Gang zum Konzertsaal zu gehen, gibt einem das Gefühl, selbst ein bisschen „Star“ zu sein – und tatsächlich ertappe ich mich dabei, wie sich meine Haltung jener einer stolzen Solistin angleicht. Die schwere graue Türe vor mir holt mich auf den Boden der Realität zurück. Diese zu öffnen, ist schon ein kleiner Kraftakt. Sie offenbart einen kurzen Gang, an dessen Ende mich ein zweiter verschlossener Zugang erwartet. Die Türe hinter mir fällt zu und ich verweile einen Moment. Nichts als mein dumpfes Atmen ist zu hören. Denn diese dunkle, kurze Schallschleuse schluckt jegliches Geräusch. Und so soll es sein.
Beim Aufstossen der zweiten Türe eröffnet sich mir ein atemberaubender Anblick auf 19000 Kubikmeter Klangraum. Das strahlende Weiss der 24000 quadratischen Gipsplättchen an den Wänden verleihen dem Konzertsaal eine kühle, puristische Eleganz. Diese Gipsreliefs zieren nicht einzig aus ästhetischen Gründen die Wände, vielmehr brechen sie die Schallreflexion auf und verteilen und multiplizieren sie in alle Richtungen. Dies ist nur ein Puzzleteil, das für die perfekte Akustik verantwortlich ist. Und sie macht diesen Konzertsaal weit über die Landesgrenzen hinaus berühmt.
Im 2. Balkon setze mich auf einen der 1‘840 Sitzplätze und bemerke, ich bin ganz alleine. Wahrlich ein seltenes Privileg. Und nun ist sie da. Alle sprechen von ihr. Sie sagen, wie selten und kostbar sie in Zeiten der Reizüberflutung ist: die absolute Stille. Und wieder stockt mir der Atem. Kenner sagen, man höre vom obersten 4. Balkon eine Stecknadel auf die Bühne fallen. Ich glaube ihnen, und atme weiter. Meine Augen erforschen die zahlreichen Charakterzüge des Konzertsaals. Warme Holztöne von Buche, Ahorn und Kirschbaum in Boden und Stühlen ergänzen das kühle Weiss der Wände. Das schummrige rote Licht, das die Echokammern hinter der Bühne ausleuchtet, steht im Gegensatz zu den unregelmässig angeordneten Lichtpunkten an der nachtblauen Decke. Man nennt ihn den Sternenhimmel.
Nachdem ich einige Minuten in dieser entrückten Realität verweilt habe, beschliesse ich, wieder in der Wirklichkeit Fuss zu fassen und meine Tour fortzusetzen. "Andrea, was machst du denn hier?" zischt es leise – und wie mir scheint erfreut – aus der Inspizienz, dem zwar kleinen Raum neben der Bühne, der aber das technische Herzstück des Saals darstellt.
Armin ist schon viele Jahre für den reibungslosen Ablauf der Konzerte zuständig: er koordiniert die Einsätze der Licht- und Tontechniker und sorgt für die perfekte Akustik im Saal. Er erzählt mir eines seiner bleibenden Erlebnisse. Das LUCERNE FESTIVAL ORCHESTRA hatte Mozarts Requiem unter der Leitung von Claudio Abbado interpretiert. Armin sinniert: "Man sagt, Mozart habe dieses Werk auf dem Sterbebett geschrieben und seine Schüler hätten es nach seinem Tod vollendet. Und trotzdem gilt es als eines seiner am höchsten eingeschätzten Werke." Ich lausche staunend seinen Worten. "Du weisst, ich arbeite nun schon so lange hier. Doch damals hatte sich etwas ereignet, was ich noch nicht erlebt habe." Seine Augen funkeln. "Das Orchester war mit Leidenschaft und Seele an den letzten Takten, als Maestro Abbado zur Finalissima ansetzte. Ein Blick ins Publikum verriet die berstende Spannung. Als der letzte Ton langsam verhallte, herrschte absolute Stille. Abbado hatte geschafft, was noch keinem zuvor gelang. Kein Klatschen. Kein Hüsteln. Keine Regung. Nach einer gefühlten Ewigkeit des Verharrens in der Stille entspannten sich Abbados Muskeln, und auch die Musiker liessen in Zeitlupe von ihren Instrumenten. Die Stille ging in frenetischen Applaus über. Einmalig." Armin lächelt glückerfüllt. Und ich wünsche, ich wäre damals dabei gewesen.
Nach meinem Rundgang verlasse ich das KKL Luzern und stehe noch eine Weile auf dem Europaplatz; über mir das weit auskragende Dach, das sich schützend über dutzende von Menschen legt. Man sagt, Heimat ist, wo das Herz ist – ich denke, ich weiss, wo das ist.

by KKL Luzern
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